Suchterkrankungen / Abhängigkeit

Wie "funktioniert" eine Suchterkrankung (z.B. Alkoholabhängigkeit) und wie kann Sucht behandelt werden.

Was ist eine Sucht (Suchterkrankung)?

Verschiedene Substanzen („psychotrope Substanzen“) wie Alkohol, Tabak, Coffein, Beruhigungsmittel, Schlafmittel (Benzodiazepine, Barbiturate), Aufputschmittel, (Ritalin, Captagon), flüchtige Lösungsmittel und illegale Drogen (Cannabis, Extasy, Heroin, Opioide, Kokain, Speed, Christl Meth) besitzen allesamt Suchtpotenzial.

Das bedeutet, dass möglicherweise bereits ein einmaliger, in jedem Fall aber ein mehrmaliger, fortgesetzter Konsum den ersten Schritt in eine Abhängigkeit bedeuten kann. Kurzfristig und bereits bei einer ersten Anwendung lassen sich mit diesen Mitteln eine positive Wirkung, eine Verbesserung der psychischen und physischen Befindlichkeit erzielen. Die oft als unangenehm, belastend und frustrierend erlebte Ausganssituation wird scheinbar schlagartig verbessert.

Da diese meist euphorisierend wahrgenommene Wirkung jedoch binnen Minuten oder Stunden (in Abhängigkeit der verabreichten Substanz und Dosierung) nachlässt und eine Ernüchterung einsetzt, die zudem noch nebenwirkungsbedingt („Kater“) oftmals ein noch unerträglicheres Erleben als ohnehin schon in der Ausgangsituation hervorruft, wird der Wunsch nach einer nochmaligen Verabreichung des Suchtmittels um so stärker, womit ein Teufelskreis entstehen kann. Der Wunsch nach einem nochmaligen „Rausch- und Glücksgefühl“ rückt immer stärker in den Lebensmittelpunkt und verlangt nach einer Wiederholung.

Das Belohnungssystem

Die Suchterkrankung besteht auf einer Fehlsteuerung im Belohnungssystem im Gehirnstoffwechsel. Suchtmittel aktivieren verschieden Botenstoffe, die z.B. für Glücksempfinden, angenehme Entspannung oder Euphorie zuständig sind. Dadurch lernt das Gehirn schnell, bestimmte Suchtmittel als Reiz war zunehmen. Wenn dieser Reiz ausbleibt, empfindet das Gehirn dies als eine Art Belohnungsdefizit. In der Folge entsteht der weitgehend unkontrollierbare Wunsch, diesen positiven Zustand durch Zuführung des Suchmittels wiederherzustellen.

Sucht ist so verstanden also keine Charakterschwäche, sondern eine Krankheit, die im Gehirnstoffwechsel nachgewiesen werden kann.

Jede Sucht entsteht über die psychischen Prozesse von Erfahrung und Wiederholung positiver Erlebnisse, an die sich die physiologischen Prozesse von biologischer Toleranz (Gewöhnung) anschließen. Unter biologischer Toleranz versteht man die Wirkungsabnahme bei wiederholter Einnahme („Abnutzungseffekt“). Suchtpatienten kompensieren diese Wirkungseinbuße durch zunächst immer steigende Dosierungen des Suchtmittels. Dazu tritt ein Gewohnheitseffekt, wodurch die Betroffenen sich immer weniger in der Lage sehen, ihre meist schwierigen und unbefriedigenden Alltagsituationen ohne Zuhilfenahme eines „Stimmungsverbesserers“ zu bewältigen. In ungünstig chronisch verlaufenden Entwicklungen kann dies bin hin zur psychosozialen Vernachlässigung führen.

Um diagnostisch von einem Suchtverhalten bzw. einem Abhängigkeitssyndrom zu sprechen, müssen im Verlaufe der zwölf vergangen Monate mindestens drei der sechs folgenden Kriterien erfüllt gewesen sein

  • Starkes, unwiderstehliches Verlangen, ein bestimmtes Suchtmittel zu konsumieren
  • Verminderung der Kontrollfähigkeit über die Dosierung, Zeitpunkt und Dauer der Zufuhr
  • Körperliche Entzugserscheinungen
  • wegen der Toleranzentwicklung stetiges Verlangen zur Dosissteigerung
  • Wachsender Interessenverlust und zunehmende Bedeutung der Beschaffung entsprechender Substanzen
  • Anhaltender Konsum trotz nachgewiesener gesundheitlicher Beeinträchtigungen oder sozialer negative Folgen

Die aktuellen Schätzungen in Deutschland belaufen sich bei großer Dunkelziffer auf etwas 16 Millionen Raucher, 1.7 Millionen Alkoholabhängige, 1.1 bis 1.4 Millionen Medikamentenabhängige und 100.000 bis 150.00 Abhängige illegaler Substanzen (Drogenabhängige).

Im weiteren Sinne zählen auch nicht stoffgebundene Abhängigkeiten zu den Süchten: Glücksspiel, Sexsucht, Arbeitssucht, Internet- und Computersucht, Handysucht, Sucht nach ständiger Erreichbarkeit, Sucht nach krankhaftem Stehlen oder Pyromanie, wobei diesen Erkrankungen meist eine andere Psychodynamik zugrunde liegt (Impulskontrollstörungen) und dementsprechend individuelle psychotherapeutische Ansätze zum Einsatz kommen, oft verbunden mit dem stationären setting einer geeigneten Psychotherapeutischen Klinik.

Wo liegen die Ursachen einer Suchterkrankung?

Für die Entstehung und Aufrechterhaltung einer Suchterkrankung spielen körperliche (biologische, genetische), psychische und soziale Faktoren eine wichtige Rolle. Alle stoffgebundenen Abhängigkeitserkrankungen rufen eine psychische und eine körperliche Abhängigkeit hervor, die sich gegenseitig verstärken.

Körperliche Gewöhnung

Je nach Art der Drogensubstanz tritt nach einer gewissen Zeit ein Gewöhnungseffekt ein. Der Körper gewöhnt sich an die regelmäßige Drogenzufuhr und reagiert mit einem beschleunigten Abbau des Stoffes. Dadurch nimmt die Drogenwirkung nach wiederholter Zufuhr ab. Um dieser Toleranz entgegenzuwirken, muss die Droge in immer weiter steigernden Dosierungen konsumiert werden.

Belohnungseffekt und Konditionierung

Die Abhängigkeitserkrankung lässt sich durch eine gelernte Reaktion verstehen, die durch das „Suchtgedächtnis“ gesteuert wird. Nach neuen wissenschaftlichen Untersuchungen aktivieren bestimmte Suchtmittel verschiedene Botenstoffe im Gehirn, insbesondere den Botenstoff Dopamin, der in einem bestimmt Hirnareal seine Wirkung entfaltet: Im limbischen System, das bevorzugt Schmerz, emotionales Verhalten, Wohlbefinden, Glücksgefühle zuständig ist, sorgen die Drogen für die Ausschüttung der relevanten Botenstoffe. Dadurch wird vermutlich der subjektiv vermittelte „Belohnungseffekt“ vermittelt. Durch vermehrte Ausschüttung von „Glückshormonen“ wird der Betroffene in die von ihm als angenehm erwünschte Stimmung versetzt, an der er am liebsten festhalten möchte mit der Folge von wiederholter Zufuhr und Dosissteigerung, gilt es ja nun im weiteren Verlauf auch die negativen Entzugserscheinungen zu relativieren, als auch sekundär die Gefühle von Scham, Schuld, Versagen und Bestrafungsängsten, die mit dem Drogenkonsum per se verbunden sind, zu verdrängen.

Gibt es erbliche Vorbelastungen und psychosoziale Belastungsfaktoren?

Die Tatsache, dass Suchterkrankungen in einer Familie signifikant gehäuft auftreten, weißt darauf hin, dass sowohl Gene als auch das familiäre Milieu einen Einfluss auf die Entwicklung einer Abhängigkeitserkrankung haben können.
So ergaben Zwillings- und Familienstudien, dass eine biologische Veranlagung für eine Sucht besteht und spezielle Genkonstellationen das Risiko einer Suchterkrankung (z.B. Alkoholismus) erhöhen können.

Außer der genetischen Vorbelastung können negative Vorbildcharakter („Lernen am Modell“) destruktive Kommunikationsmuster, Gewalt, Mißbrauch und mangelnde Fürsorge in der Herkunftsfamilie ebenfalls dafür sorgen, dass Betroffene die nicht verarbeiteten Traumata und unangenehme Erinnerungen mit Alkohol und Drogen zu kompensieren und zu verdrängen versuchen („fehlgeleiteter Selbstheilungsversuch“).

Wie lassen sich erste Anzeichen und Symptome einer Sucht erkennen?

Für Angehörige, Kollegen oder Freunde ist es nicht immer leicht, eine Sucht bei einem Mitmenschen zu erkennen, da es zum Wesen der Sucht gehört, aus Scham und Versagens-Gefühlen heraus zu verheimlichen, zu bagatellisieren, zu vertuschen, zu verleugnen und zu rationalisieren. Ohne den konkreten Suchtgebrauch, der immer mehr verheimlicht wird, zu erkennen, zeigen sich oftmals Desinteresse, Depressivität, Vernachlässigung, Gereiztheit, mangelnde Leistungen am Arbeitsplatz und zu Hause.

Das Verheimlichen des Suchtmittelgebrauchs führt oft zu einem „Doppelleben“, was von den Betroffenen immer schwieriger aufrechtzuerhalten ist, bis bei entsprechender Gelegenheit das gesamte Kartenhaus aus Lügen, Vertuschen, Bagatellisieren in sich zusammenbricht und dann den Betroffenen meist erstmals in dieser schweren Krise den Weg zu geeigneten Beratungs- und Therapieformen möglich macht („Kapitulation“).

Wie machen sich Entzugserscheinungen bemerkbar?

Je nach dem bevorzugten Suchtstoff treten verschiedene körperliche und psychische Symptome auf. Wiederholtes Einnehmen des Rauschmittels führt zur Gewöhnung, Auslassversuche oftmals schon im Frühstadium zu entsprechenden Entzugserscheinungen, die meist nicht mehr zu vertuschen sind und als Alarmsignal gesehen werden können (Nervosität, Gereiztheit, Zittern, Schwitzen Gesichtsröte).

Die psychische Abhängigkeit zeigt sich an der zunehmenden Bedeutung des Substanzgebrauchs, der in immer mehr Alltagssituation eine Rolle spielt, mit der Abnahme der Möglichkeiten, Alltagssituationen ohne das Suchtmittel zu meistern. Es kann ein unausweichliches Verlangen („craving“) entstehen, der Betroffene verliert immer mehr die Selbstbestimmung über sein Suchtmittel, also zur kontrollierten Einnahme, während der Suchtdruck immer größere Macht erlangt. Insgesamt kann es zu einer Abflachung der Persönlichkeitsstruktur kommen, zu fortschreitendem Interessensverlust, mangelnder Konzentrationsfähigkeit, Stimmungsschwankungen, Gleichgültigkeit und anhaltendem Konsum trotzt bereits realer gesundheitlicher Schädigungen.

Körperliche Abhängigkeit

Vor allem beim Versuch, das Suchtmittel zu reduzieren oder abzusetzen, können sich körperliche Entzugserscheinungen unerträglicher Art zeigen, die sich durch eine sofortige Zufuhr des Suchtmittels in Kürze wieder aufheben lassen und somit den weiteren Suchtmittelgebrauch bestimmen.

Die Entzugserscheinungen verdeutlichen, dass sich der Körper bereits an die ständige Drogenzufuhr angepasst hat und nun dahingehend fehlgesteuert ist, dass er der ständigen weiteren Zufuhr verlangt. Häufige Entzugserscheinungen sind Unruhe, Nervosität, Ängste, Schlaflosigkeit, Zittern, Verlust von Interesse, Lebensfreude, Konzentration, Gewichtsverlust und angemessenen Verhalten. Im Extremfall kann es zu Bewusstseinstrübungen, Wahnvorstellungen (delirium tremens) oder Krampfanfällen kommen.

Behandlung: Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?

Wer suchterkrankt ist, und hierbei steht immer erst die Erkenntnis und Einsicht des Betroffenen selbst im Vordergrund für weitere Bemühungen und Motivationsarbeit, kann heute vielfältige professionelle und wissenschaftlich erprobte Angebote in Anspruch nehmen, die zu guten Heilungsergebnissen führen können.

Es geht darum, dem Suchtkranken mit gebotener Akzeptanz und Respekt ein auf ihn individuelles Therapieangebot aufzuzeigen, ihn dafür zu motivieren und über die verschiedenen Behandlungsschritte professionell zu bergleiten. Dazu gehört eine fachkundige Diagnosestellung, Erhebung der psychiatrischen Anamnese und Suchtgeschichte, Einschätzung der Persönlichkeitsstruktur und Therapiefähigkeit sowie Therapiemotivation.

Ansprechpartner in diesem anspruchsvollen Vorgehen sind Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie oder Fachärzte für Psychosomatik und Psychotherapie, die für einen ganzheitlichen Therapieansatz spezialisiert sind. Dies ist umso bedeutsamer, da Suchterkrankungen, vor allem im fortgeschrittenen Stadium mit einer Vielzahl körperlicher, teils bedrohlicher Erkrankungen einhergehen. Zum anderen, da Fachärzte im engen Kontakt zu entsprechenden Fachkliniken die notwednige Kooperation und Einweisungsformalitäten übernehmen können.

Die verschiedenen Behandlungsschritte umfassen eine genaue Diagnostik, Motivationsphase, Entgiftungsphase (Entzugsbehandlung) und anschließende Entwöhnungsbehandlung, die in der Regel in einem stationären setting (Klinikbehandlung) durchzuführen sind. Daran anschließend und bei ausreichender Stabilisierung und Fähigkeit zur Abstinenz ist es sinnvoll, eine individuelle Psychotherapie (tiefenpsychologische Psychotherapie, Psychoanalyse) von mehreren Monaten anzuschließen, um die Erkrankung mit ihren Nebenerscheinungen (Angst, Depression, Beziehungsverlust) aufzuarbeiten und damit die Grundlagen einer dauerhaften stabilen Abstinenz zu schaffen. In diesem Zusammenhang ist auch die Bedeutung freiwilliger Selbsthilfegruppen zu erwähnen (z.B. anonyme Alkoholiker / AA-Gruppen), um weiteren Rückfällen vorzubeugen und das Abstinenzziel zu festigen.

Zusammenfassung der Behandlungsschritte einer Suchterkrankung

  • Kontakt- und Motivationsphase
  • Diagnostik
  • Entgiftung (körperlicher Entzug, stationär)
  • Entwöhnung (psychische Rehabilitation, stationär)
  • Aufarbeitende und stützende Psychotherapie
  • Besuch von Selbsthilfegruppen

Die kompetente „Lotsenfunktion“ durch die einzelnen Behandlungsschritte sollte einem Facharzt für Psychiatrie oder Facharzt für Psychosomatik anvertraut werden, der hierfür die umfangreichste Ausbildung und Erfahrung besitzt, Medikamente im Entzug verordnen kann, in Fachkliniken einweisen darf und notwendige Arbeitsunfähigkeitsatteste und soziale gutachterliche Maßnahmen ergreifen kann.